Buch:
Zweimal Deutschland
Soziale Politik in zwei deutschen Staaten – Herausforderungen, Gemeinsamkeiten, getrennte Wege
Die Publikation ist mit 520 Seiten mehr als ein Konferenzband zum deutschlandpolitischen Symposium vom 4. November 2019. Es konnten weitere Autorinnen und Autoren gewonnen werden, so dass das Sachbuch Beiträge von 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern enthält. Zum Inhaltsverzeichnis gelangen Sie hier.
Das Buch setzt im Jubiläumsjahr deutsch-deutscher Staatengründungen der selektiven Sicht politisch vorgegebener Urteile eine vergleichende Betrachtung der Entwicklung von BRD und DDR entgegen und es wird darin nicht vergessen zu belegen: Die Spaltung Deutschlands ging vom Westen aus.
Mit der Entscheidung, für Symposium und Buch aus einer Vielzahl möglicher Themen die Sozialpolitik auszuwählen, wird ein Bereich der Zeitgeschichte ins Bewusstsein gerückt, der von ganz grundsätzlicher Bedeutung für das Zusammenleben bleibt und wichtig ist, für eine spätere, vorurteilsfreie gesamtdeutsche Geschichtsschreibung. Zugleich wird gezeigt, dass der neoliberale Umbau der BRD-Gesellschaft seit den 80er Jahren mit dem Anschluss der DDR zum Durchbruch gelangte.
Unsere Publikation schlägt den Bogen vom Kalten Krieg über die Neuformierung der beiden Gesellschaften bis hin zu den neuen Herausforderungen. Aufgezeigt wird der Wandel beider Staaten und Gesellschaften an wichtigen historischen Knotenpunkten, ihre gegenseitige Beeinflussung und es geht um die Frage nach Bewahrenswertem, aber auch darum, wie künftige alternative Gesellschaftsstrategien diese Erfahrungen aufgreifen können. Lesen Sie dazu im Vorwort des Buches.
Reiner Zilkenat/Stefan Bollinger (Hrsg.)
Edition bodoni 520 S. 22 € ISBN 978-3-947913-08-4 Das Buch ist erhältlich über den örtlichen und Internetbuchhandel sowie den Verlag:
https://edition-bodoni.de/buecher/zweimal-deutschland-soziale-politik-in-zwei-deutschen-staaten/
Rezensionen
„Stefan Bollinger hatte zusammen mit verschiedenen Berliner Vereinen und Partnern eine Konferenz zu ‚Zweimal Deutschland‘ veranstaltet, just am 4. November 2019, dem 30. Jahrestag der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz 1989. Der Schwerpunkt lag auf der ‚sozialen Politik‘, im Grunde in drei Deutschlands: DDR und BRD bis 1990 und des jetzigen Deutschlands seither. Nunmehr liegt der Konferenzband vor.
Konferenzpublikationen lohnen oft nicht die Besprechung, weil da zusammengesammelt wird, was ein Zitatenkartell aus akademischen Karrieregründen gerade zu publizieren wünscht, oder weil der Druckkostenzuschuss verbraucht werden muss. Hier ist das anders. Auf der Liste der Autoren finden sich etliche Namen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die etwas zu sagen haben und aus diesem Anlass erhellende Texte beigesteuert haben.“ So Erhard Crome und weiter:
„Dieser Band drückt in gewissem Sinne den heutigen Stand der linken, alternativen Zeitgeschichtsforschung und Gesellschaftsanalyse zur deutschen Zweistaatlichkeit und zum Ende der DDR aus. Es ist wichtig, dass diese Texte über die Erfahrungen mit dem realsozialistischen ‚Frühsozialismus‘ für die Nachgeborenen nachlesbar sind. Auch wenn es dem nicht-akademischen Leser zuweilen schwerfallen mag, solchen Sammelband in allen Facetten zur Kenntnis zu nehmen, sind diesem Buch viele aufmerksame Leser zu wünschen.“
Die Rezension ist Crome Anlass, eine interessante Zusammenschau der Gründung der beiden deutschen Staaten und deren Entwicklung vorzunehmen. Er erinnert im Hinblick auf die doppelte Staatsgründung daran: „Dennoch war die Spaltung Deutschlands nicht nur Ergebnis des Wirkens der Besatzungsmächte, sondern zugleich Resultat der Auseinandersetzungen zwischen politischen und sozialen Kräften in Deutschland, deren Wurzeln bis in die Kaiserzeit und die Anfänge der Weimarer Republik zurückgingen (Hofmann). Peter Ruben hatte dazu bereits Anfang der 1990er Jahre viel präziser geschrieben, dass die beiden deutschen Staaten von 1949 ‚die staatliche Konstituierung einer der Bürgerkriegsparteien in der Revolution von 1918/19‘ waren. … „Was sich vierzig Jahre, von 1949 bis 1989, in Deutschland in Entgegensetzung gegenüberstand, waren die Parteien der linken Reichstagsmehrheit von 1917 (SPD, Zentrum, Linksliberale) einerseits und die revolutionären Sozialisten andererseits, die in der Revolution die angenommene Alternative – Nationalversammlung oder Rätemacht – im Widerspruch zueinander entscheiden wollten. Die Phrase ‚Rechtsstaat oder Arbeiter-und-Bauern-Macht‘ ist nur eine andere Benennung des von der Revolution gestellten Problems.“ Deutlich in Cromes Rezension u.a. auch der Hinweis: „Beide deutsche Staaten befanden sich seit Anbeginn ‚in einer Konkurrenz- und Wettbewerbssituation. Sie verstanden sich zunächst als Provisorien, die zu gegebener Zeit um den konkurrierenden Teilstaat zu ergänzen waren. Jede Seite sah sich als Kernstaat einer erwarteten deutschen Einheit. Daran knüpfte die Bundesrepublik ihren Alleinvertretungsanspruch und die DDR Vorstellungen von einer ‚historischen Mission‘. Beide politischen Orientierungen gingen stets von der Überlegenheit des eigenen Systems aus. In diesem ungleichen Wettbewerb kam die DDR immer mehr an die Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.“
Karlen Vesper hebt hervor: „Dies ist ein weiteres großes Plus des hier anzuzeigenden Bandes: Er blickt nicht nur zurück, sondern auch auf die Gegenwart – und nach vorn, in die Zukunft. Die bei Beherzigung historischer Erfahrungen und Anerkennung der Unzulänglichkeiten der Gesellschaftsordnung menschenfreundlicher, gerechter und friedlicher gestaltet werden kann. Es liegt einzig und allein in unserem Ermessen.
‚Es gab Gewinner und Verlierer der Einheit in Ost und West, es gibt heute immer noch zwei Gesellschaften im vermeintlich vereinten Deutschland – aber vor allem gibt es einen gesamtdeutsch funktionierenden Kapitalismus neoliberalen Zuschnitts, der die Kluft zwischen Oben und Unten gesamtdeutsch praktiziert und immer mehr vertieft‘ , heißt es in der Einleitung der Herausgeber, des Ostberliner Historikers Stefan Bollinger und seines Westberliner Kollegen Reiner Zilkenat, der leider kurz vor Erscheinen des vorzüglichen Bandes verstorben ist.“
Grit Schnitzhofer merkt an: „ Ein unbestreitbarer Vorzug des Bandes ist die Bereitstellung der Forschungsfelder von 26 kritischen Wissenschaftler/-innen unterschiedlicher Disziplinen, die durch ihre Forschungsarbeiten das Ineinandergreifen und Wechselspiel zwischen Staat - Gesellschaft, DDR - BRD sowie außenpolitische Faktoren über Jahrzehnte freilegen. Allesamt bleiben sich durch ihren gut verständlichen Sprachstil dem Leitsatz „Politik geht alle etwas an“ treu.
Als besonders hilfreich stellt sichbei der Flut an Informationen die im Anhang beigefügte Chronik sozialpolitischer Maßnahmen der DDR sowie der BRD heraus.“
Holger Czitrich-Stahl weist zu Beginn seiner Rezension darauf hin: „Dreißig Jahre nach dem Auftakt zum Ende der DDR überwiegen in der Mainstream-Rückschau jene Beiträge, die sich allein auf den 9. November 1989 mit der Öffnung der DDR-Grenze beziehen und damit suggerieren, es sei stets nur um die Einheit der Deutschen bzw. die Abschaffung der DDR gegangen. Dass es einen Aufbruch im Herbst 1989 gab, der einen Neubeginn in der DDR und nicht ihre Preisgabe forderte, wird gröblich vernachlässigt.“ Im Weiteren geht er auch auf die lebhafte Debatte während des Kolloquiums ein. „Das Erbe der DDR ist nach 1990 mit vereinnahmt worden. Darüber zu reden hieße Dialog“, meinte Jürgen Hofmann. Und Günter Benser setzte hinzu: „Solange unter ‚deutsch‘ nur bundesdeutsch verstanden wird, ist es um die deutsche Einheit nicht gut bestellt“.
Peter Hübner: „Die 25 Autoren betrachten Dimensionen und Richtungen der Sozialpolitik in den beiden deutschen Staaten unter sehr verschiedenen Blickwinkeln. … Der Versuch, das Zustandekommen und die Praxis der in DDR und Alt-BRD konkurrierenden Sozialsysteme vergleichend unter die Lupe zu nehmen, lenkt den Blick auch auf bisher unterbelichtete Themenfelder. Hierzu gehört zum Beispiel eine Betrachtung sozialpolitischen Ressourcenmanagements.“ Sein Fazit: „In jedem Fall ist aus der Geschichte der sozialen Frage und der Sozialpolitik in der DDR, der BRD und im Nach-1990er Deutschland einiges zu lernen, was vielleicht auch bei politischen Entscheidungsprozessen helfen kann.“
Reiner Holze stellt seiner Rezension im Hinblick das gewählte Konferenzdatum voran: „Vor 30 Jahren hatten eine Million DDR-Bürger an einer von Kulturschaffenden initiierten Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz teilgenommen. Allen Rednerinnen und Rednern ging es um Reformen und Erneuerung der DDR. Über einen demokratischen Sozialismus diskutierten DDR-Bürger seit Wochen. Ungeachtet dessen reduzieren heute die offiziellen Medien das Jahr 1989 auf Stasi, Massenflucht, Maueröffnung und Einheit der Deutschen. Dagegen setzen die Veranstalter gemeinsam mit hundert Teilnehmern bemerkenswerte Kontraakzente.“
Ridvan Ciftci betont in seiner Rezension: „Nicht nur durch ihre Themenauswahl gelingt es den Herausgebern, eine Gegenerzählung zur „Einheitseuphorie“ zu etablieren. Die Artikel zeichnen sich durch detaillierte Recherche und eine verständliche Sprache aus. Eine ausführliche Chronik ausgewählter Entscheidungen deutscher Sozialpolitik zwischen 1875 und 2019 rundet das überaus lesenswerte Buch ab.“